Ralf Heinrich Arning
Der Tintenteufel
Es wollt’ ein finstrer Bücherwurm
Ein heitres Werkchen schreiben,
Und lief recht auf sich selber Sturm,
Die Arbeit zu betreiben.
Er trat, wie in ein Labyrinth,
Aus seinen alten Schranken,
Und jagte hitzig, toll und blind
Nach lustigen Gedanken.
Doch vor dem plumpen Jäger schwand
Dieß Volk von Schmetterlingen,
Und ließ sich nicht durch Kiel und Hand
Auf seinen Bogen bringen.
Der Musen Eigensinn verlieh
Ihm nichts als trockne Beute.
Er fand, trotz aller seiner Müh’,
Kein Witzwort, das ihn freute.
So schrieb er bis um Mitternacht,
Zerriß dann seine Blätter,
Und fluchte, schrecklich aufgebracht,
Ein grasses Donnerwetter.
Urplötzlich lacht’ es: hi! hi! hi!
In seiner düstern Stube.
Bestürzt sah er sich um und schrie:
„Was neckt mich für ein Bube?“
Es lachte wieder: ha! ha! ha!
Er griff nach seinem Degen,
Und hieb ins Blaue hier und da,
Den Spötter zu erlegen.
Doch stärker lacht’ es: ho! ho! ho!
Da seufzt er mit Erstarren:
„Was ist das? Lach’ ich selber so?
Studiert’ ich mich zum Narren?“ —
Und als er so bedonnert stand,
Sah er, durchströmt von Schauern,
Auf seines Tintenfasses Rand
Ein seltsam Wesen kauern.
Es hatte Hörner, Schweif und Klau’n
Und andre Teufelszeichen,
Und war den Galgenmännlein, traun!
An Größe nur zu gleichen.
„Heb dich hinweg, du Höllensohn!“
Rief der Gelehrt’ im Grimme.
„Nein!“ sprach das Ding mit keckem Ton:
„Hier hab’ ich sitz und Stimme.“ —
„Auf meinem Tintenfaß? du Wicht!
Ist das ein Platz für Geister?“ —
„Ja freilich! Weiß Er das noch nicht?
Er, ein so alter Meister!
Umnebelt sitzen immerfort
Verschlagene Gesellen,
Von meiner Gattung, an dem Bord
Der schwarzen Bücherquellen.
Allein nicht jedes Tintenfaß
Gehört in unsern Sprengel.
Auf manchem hockt auch wohl, als Saß,
Ein ehrbarlicher Engel.
Wir pflegen übrigens nicht bloß
Gähnaffen feil zu haben.
Nein, wir beschenken ruhelos
Die Welt mit schönen Gaben.
Denn, gleich wie Segel, Strom und Wind,
Ein Schifflein mächtig treiben,
So muß, wie wir gelaunet sind,
Der Schriftverfasser schreiben.
Ich, ohne Ruhm zu melden, bin
Ein sehr ernsthafter Teufel,
Und schicke mich mit solchem Sinn
Nach Deutschland sonder Zweifel.
Er, Herr Magister, ließ auch fein
Bis jetzt von mir sich lenken.
Erst heute fiel’s dem Querkopf ein,
Auf Possenwitz zu denken.
Drum stemmt’ ich meine ganze Macht
Der tollen Wuth entgegen,
Hab’ Ihn auch tüchtig ausgelacht,
Und alles von Rechts wegen.“ —
„Was hört man nicht im Lebenslauf!“
Rief Jener. „Sprichst du Wahrheit,
So geht ein neues Licht mir auf,
Und setzt mir viel in Klarheit.
Wenn auf des Schreibers Egg’ und Pflug
Der Hölle Kinder thronen,
Was Wunder denn, daß Lug und Trug
In tausend Schriften wohnen?
Was Wunder, daß die Selbstsucht drin
Mit ehrner Stirn sich bäumet,
Und Bosheit ihren Geifer hin
Auf Recht und Wahrheit schäumet?
Was Wunder die Parteilichkeit
Schamloser Kritikaster? —
Ihr frechen Tintenteufel seyd
Die Väter dieser Laster!
Nur will mir Eins nicht in den Kopf:
Man nennt euch klug wie Schlangen,
Und dennoch scheint vom dümmsten Tropf
Manch Giftblatt ausgegangen.
So unklug sollte Satanas
Den alten Ruhm nicht wagen,
Und wenigstens vom Tintenfaß
Die dummen Teufel jagen.“ —
August Friedich Ernst Langbein

A. F. E. Langbein’s sämmtliche Schriften. Vollständige, vom Verfasser selbst besorgte, verbesserte und vermehrte Original-Ausgabe letzter Hand, fünfter Band, enthält: Gedichte, verbesserte und vermehrte Original-Ausgabe, fünfter Theil, (Bisher ungedruckte u. zerstreut vorkommende Gedichte.), Stuttgart 1835, S. 138–144.

Zuerst (?) in: Hortensia, ein Taschenbuch für Damen auf das Jahr 1812, S. 136 ff.

Auch in: August Friedrich Ernst Langbein, Sämmtliche Gedichte. Vollständig in fünf Bänden, Zweite durchgesehene Auflage; mit des Verfassers Biographie und mit sieben Stahlstichen, Fünfter Band, Stuttgart 1838, S. 136–142.

Und öfter.

Textauswahl und -erfassung
Ralf Heinrich Arning
Erstveröffentlichung: 23.03.2010
Letzte Änderung: 23.03.2010
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Gestaltung und Textauswahl: Ralf Heinrich Arning Erstveröffentlichung: 22.03.2010 Letzte Änderung: 17.11.2011
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