Der Wanderer zur Ruhe
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E in Wandrer zog von Morgen her
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Mit herzlichem Verlangen,
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Gen Abend sucht er weit und weit
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Das Thal, wo ihm in frischer Zeit
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Das Leben aufgegangen.
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Und wie er lange strebt und irrt,
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Schaut er der Heimath Zeichen;
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Ihn grüßt der Strom mit hellem Lauf,
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Er sieht den grauen Berg hinauf,
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Im Thal die alten Eichen;
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Und ruht sich fröhlich an dem Strom,
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Von Blumen frisch umfangen,
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Der Berg steht jung, der Eichwald grün,
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Im Strom die ew’gen Wellen ziehn,
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Und ihm ist nichts vergangen.
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Da pflückt er sich der Blumen Lust,
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Wie in der Kindheit Stunden.
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Er dünkt sich jung, er dünkt sich hell,
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Es hat der wandernde Gesell
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Beständiges gefunden.
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Und liebend scheint die Fluth zu ruhn,
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Ruft leise: komm zu schauen!
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Und wie er sich hinüber bückt –
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Sein Antlitz ihm entgegenblickt,
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Und – blickt ihn an mit Grauen.
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Und ach! er sieht den Traum dahin,
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Sein Angesicht zerfallen;
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Er trägt sein graues Haupt so schwer,
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Er irrt mit mildem Blick umher,
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Und sucht die Vaterhallen.
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Die Vaterhallen kennt er dort –
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Sie kennen ihn nicht wieder;
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Ein fremdes Auge spricht ihm zu,
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Die alte Liebe ging zur Ruh,
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Und mahnt ihm stumm: komm wieder!
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Und als er an dem Hügel kniet,
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Wo sich die Gräber senken,
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Der Klang der Abendglocke schweigt,
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Heran die stumme Dämmrung schleicht,
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Und banges Angedenken.
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Und wie die Nacht so dunkel steht,
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Was leuchtet durch die Weite?
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Es schwebt ihm fern, es schwebt ihm nah,
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Ein helles Weib steht vor ihm da,
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Und ruft an seiner Seite.
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Und schaut zu ihm, und spricht ihn an
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Mit freundlicher Geberde:
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„Vergangnes suchst du? Laß vorbei!
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Vor allem Irdischen getreu
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Blieb ich dem Sohn der Erde.
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Auch kennst du mich von Alters schon;
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Ich saß an deiner Wiege;
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Im Spiel dem Knaben zugesellt,
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Erschloß ich Jüngling, dir die Welt:
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Nimm, was dir hold genüge!
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Da griffst du weithin, und ich zog
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Mit dir auf Vogel-Schwingen;
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Du suchtest rastlos fort und fort,
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Ich wollte dir am stillen Ort
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Des Lebens Rosen bringen.
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Und wie du nun zur Heimath kehrst,
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Treu folgt’ ich deinem Stabe;
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Mein Haupt, es ist mit dir gebleicht,
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Die Freundin alt und zitternd reicht
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Dir ihre letzte Gabe?“ –
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„Und woher stammst du wundervoll?
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Aus luft’gem Hauch geboren.
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Wer bist du, treues Weib?“ – „Die Zeit!“ –
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„Du hast in Fülle, was erfreut,
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So gieb, was ich verloren.“ –
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„Was mir geblieben, theilt’ ich dir:
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Zur Ruh die kleine Hütte,
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Traut, einsam, des Vergessens Ort,
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Und meine Rosen pflanz’ ich dort
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Auf grünen Daches Mitte.“
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Sie sprachs in müder Mitternacht,
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Ihr Haupt ward schlummertrunken,
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Sie lehnt es sanft an seine Brust;
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Er lag im Schlummer, unbewußt
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Ihr in den Arm gesunken.
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G. A. H. Gramberg.
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