Vormärzlicher Turnphilister
|
Auf ödem sandigen Platze
|
Tummeln die jüngeren Leut,
|
Zum eigentlichen Turnen
|
Hat Michel Koch keine Zeit.
|
Er ist Familenvater
|
Und Handelsmann dabei,
|
Doch ist er in der Gesinnung
|
Sehr frisch fromm fröhlich frei.
|
Das Turnen, sagen die Kenner,
|
Stärket nicht bloß den Leib,
|
Es kräftigt auch den Charakter
|
Und ist ein Zeitvertreib.
|
Drum sitzet der Turnphilister
|
Des Abends im trauten Verein
|
In einer billigen Kneipe
|
Und schenkt den Turnern ein.
|
Da wird der Geist gehoben,
|
Man liest die Zeitung auch,
|
Man ärgert sich bisweilen,
|
Und das verringert den Bauch.
|
Das macht die Kehle trocken
|
Und an Strapazen gewohnt,
|
Leicht, daß nicht alles so bleibet
|
Hier unter dem wechselnden Mond.
|
Vielleicht, daß einst sich’s füget,
|
Daß einst die Welt aufraucht,
|
Wobei man gute Lungen
|
Und gute Lebern braucht.
|
So muß der Mann von Jahren
|
Sich üben bei guter Zeit
|
Und in den Turnerkneipen
|
Hat er Gelegenheit.
|
Es flößet das Turnerwesen
|
Entschiedene Haltung ein,
|
Republikanische Größe,
|
Zum mindesten den Schein.
|
Doch Mäßigung und Erfahrung
|
Thut oft der Jugend not,
|
Darum verzehret im Wirtshaus
|
Michel sein Abendbrot.
|
Er giebt der Sach’ ein Ansehn
|
Und beugt dem Unfug vor
|
Und macht die Kneipe gemütlich
|
Mit langem Pfeifenrohr.
|
Und daß die Frau nicht murre,
|
Kommt er zu spät nach Haus,
|
So wirft er sonst einen Turner
|
Niemals zur Thür hinaus.
|
Ludwig Eichrodt
|