Große deutsche Literaturballade.*)
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Gegen Abend in der Abendröthe,
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Ferne von der Menschen rohem Schwarm,
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Wandelten der Schiller und der Göthe
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Oft spazieren Arm in Arm.
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Sie betrachteten die schöne Landschaft,
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Drückten sich die großen edlen Händ’,
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Glücklich im Gefühl der Wahlverwandtschaft
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Unterhielten sie sich excellent.
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Dieser war schon etwas grau von Haaren,
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Jener zwar nicht weit vom frühen Grab,
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Aber grad in seinen besten Jahren
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Als ein Dichter und geborner Schwab.
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Keiner that dem Andern was verhehlen,
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Sie vertauschten ihre Lorbeerkränz,
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Und die schöne Harmonie der Seelen
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Trübte nicht der Wahn er Convenienz.
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Sehen Sie, so redete der Göthe,
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Dort die edle Pflanze in dem Gras,
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Jenes Steingebilde, diese Kröte,
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Dort den Schmetterling und dies und das,
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Und — die Sonn’, erwiederte verwundert
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Drauf der Schiller, sehen Sie, o Freund,
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Eben, seh’n Sie, eben geht sie unter!
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So hab’ ich’s im Räuber Moor gemeint.
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Und ein andermal begann der Schiller,
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Als sie wandelten am Wiesenbach,
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Und der Göthe wurde immer stiller,
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Während der entzückte Schiller sprach:
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Sehen Sie, wie diese Wellen fließen,
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Ohne Ruh und ohne Rast dahin,
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Wie die Menschen alle wandern müßen,
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Und die Zeiten unaufhaltsam flieh’n!
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Herrlich ist, was Sie mir da bemerkten,
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Gab der Göthe seinem Freund zurück:
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Hören Sie, daß Sie mir da bestärkten
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Meine Meinung von des Menschen Glück.
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Alles seh’ ich gleichsam in dem Wasser,
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Form und Ordnung, Maßstab und Bezug,
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Vieles Trefflichen bin ich Verfasser,
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Doch am Ende sey’s gerad genug.
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„Alexander und Homerus starben,
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Dieses ist das Loos von Allem fast.“
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Und was sagen Sie denn von den Farben,
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Welchen ich so sorgsam aufgepaßt?
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„Geht es Ihnen auch so sehr zu Herzen,
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Herr Geheimerath, das Ideal?“
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Mich ergreift, ich weiß nicht, darf ich scherzen,
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Himmlisches Behagen auf einmal!
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Unter solchen göttlichen Gesprächen
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Schritten die verklärten Dichter oft
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In des Waldes unbetretnen Schlägen,
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Bis es dunkel wurde unverhofft.
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Und die weltberühmtesten der Verse
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Machten miteinander unterwegs
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So der Dichter Tell’s und der des Lerse,
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Eingedenk des großen Künstlerzwecks.
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Zum Exempel jene Prachtballaden
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Von dem frommen Knechte Fridolin,
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Von der Bürgschaft vielverschlungnen Pfaden,
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Von dem Gotte und der Müllerin;
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Ferner jene Xenien, unergründet,
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Die der Genius des Jahrhunderts sann,
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Wo der Mensch, der solche Bücher findet,
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Vor Erstaunen sich nicht helfen kann.
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Manchmal blieben sie auf einmal stehen,
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Wie in plötzlicher Versteinerung,
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Tief durchschauert von dem heil’gen Wehen
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Gegenseitiger Bewunderung.
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Auf dem Rücken faltete die Hände,
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Dann der Göthe, eh’ man sich’s versah,
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Und so ganz in seinem Elemente
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War der große Schiller da.
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Hochbegeistert schwebten sie nach Hause;
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Jener brannte schon vor Ungeduld,
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Dieser knitterte an seiner Krause,
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Bis er stünd’ an seinem Schreibepult.
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Sehe nun Jeder, wie er’s treibe,
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Sprach der Aeltre zu dem Jüngeren,
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Der versetzte mit verneigtem Leibe:
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Geh Du rechtwärts, laß mich linkwärts gehn!
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Und bis zu der nächsten Morgenröthe,
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Schrieb der Schiller an dem siebten Band,
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Und den dreißigsten diktirt der Göthe
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Seinem Sekretär noch in die Hand.
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Still und dunkel auf den Straßen war es,
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Nur die Lampe brannte wieder hell
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In den Zellen unsres Dichterpaares,
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Mahnend an der Wahrheit Strahlenquell.
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Fragt ihr nun, ihr lieben deutschen Brüder,
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Welche Lehr’ aus diesem hohen Lied,
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Welche Lehr’ aus diesem Lied der Lieder
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Der vernunftbegabte Leser zieht?
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O begreifet, daß der Freundschaft Flöte
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Die Musik der Sphären weiter spinnt,
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Daß man spricht vom Schiller und vom Göthe
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Wo zwei Deutsche nur versammelt sind!
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*) Nach Durchlesung eines schönen Aufsatzes des
Pfennigmagazins gedichtet, welches mir durch
die Güte Sr. Hochwürden des Herrn Pfarrers
einmal geliehen wurde. G. B.
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